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Patrick Weigel

Ich sehe es in Deinen Augen





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Prolog

Ich sehe es in Deinen Augen

 

 

Als er damals seinen Heimatort verließ, sollte alles besser werden, ein Neubeginn, der Anfang von etwas Großem. 20 Jahre sind seitdem vergangen. Doch jetzt wo er wieder hier war, waren all die schönen Zeiten nur noch Schall und Rauch.

 

Hier stand er nun, im kalten Regen, am Grab seines Vaters. Nach dessen Tod er alles hinter sich gelassen hatte; lassen musste. Er flüchtete vor dem Schmerz. New York. Die große Karriere, ein neues Leben, eine Familie.

 

Er schüttelte leicht den Kopf, wohlwissend, dass dieser Plan nicht aufgegangen war. Der Regen bot eine Atmosphäre für die traurige Szenerie in seinem Inneren. Er drückte die Augen zu, während er seinen Kopf senkte. Nachdem er tief Luft geholt hatte, richtete er seinen Kopf in den bewölkten Himmel und öffnete seine Augen wieder. Er blinzelte. So schwierig, wie es für ihn war in den verregneten Himmel zu schauen, so schwer fiel es ihm seinen Blick positiv in Richtung Zukunft zu richten.

1

Einige Wochen zuvor.

 

„Herr Park, Sie können nun reingehen.“, sagte die junge und attraktive Dame am Empfang mit ihrem gewohnt schönen Lächeln. Vincent bedankte sich, als er sich erhob und versuchte dieses zu erwidern.

 

Dipl.-Psych. Charles Gency stand auf der Tür, deren Klinke Vincent zum wiederholten Male in diesem Monat herunterdrückte.

„Herr Park, schön Sie wiederzusehen. Nehmen Sie doch Platz“, sagte der Mann freundlich und wie immer mit einem kräftigen Händedruck, bei dem es Vincent nicht leicht fiel mitzuhalten.

Er zeigte auf das Glas Wasser auf dem Tisch: „Wenn Sie etwas trinken möchten. Wie geht es Ihnen?“

„Na ja, es geht. Ich meine, wie Sie hoffentlich noch wissen, ist mein Leben wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen und ich hätte vermutlich schon früher jemanden wie Sie aufsuchen sollen.“

„Ich bin froh, dass Sie es noch getan haben. Jetzt versuchen wir, Sie wieder in die Spur zu bekommen und ich denke, bisher hat das doch ganz gut geklappt.“

„Ich möchte Ihnen allerdings mitteilen, dass dies heute mein letzter Termin sein wird. Meine Wohnung ist gekündigt und bereits ausgeräumt.“

Charles Gency zog leicht die Augenbrauen hoch: „OK. Wo gehen Sie hin?“

„Ich werde zurück nach Hause ziehen. Nach Jackson, Wyoming. Meine Mutter lebt noch dort. Ich möchte erst mal meine Ruhe haben.“ „Das ist verständlich. Wir sollten demnach die verbleibende Zeit nutzen. Gibt es etwas über das Sie heute gerne sprechen würden?“

„Ja, da gibt es etwas. Ich habe durch unsere Gespräche einige Dinge bemerkt, die ich ändern muss. Daher möchte ich Ihnen heute noch etwas von meinem letzten Fall erzählen und den damit zusammenhängenden Veränderungen.“

„Schön. Legen Sie los.“

2

„In Ordnung. Am Grab meines Vaters habe ich ihm geschworen ein guter Polizist zu werden, das Beste aus mir zu machen. Und ich kann mit Stolz sagen, dass ich der beste Ermittler im Bezirk war. Meine angestrebte Karriere hatte sich erfüllt. Insgesamt war mein Leben das, was ich mir erhofft hatte und was auch meinen Vater glücklich gemacht hätte.

 

Und jetzt ist alles anders. Ich meine, wie ich bereits das letzte Mal erzählt hatte, habe ich meine Frau und die Kinder verloren. Es war ihr gutes Recht zu gehen. Die Fehler, die ich gemacht habe, waren nicht mehr zu verzeihen. Meine Stelle hätte ich in den nächsten Wochen auch noch verloren. Ich bin nur meinem Chef zuvorgekommen.

„Warum glauben Sie, dass Sie die Stelle auch noch verloren hätten?“, fragte der Psychotherapeut wenig enthusiastisch, während sein Blick an Vincent vorbei auf die Uhr über der Tür fiel. Gency war klar, dass er Vincent nicht wieder sehen würde. Seine Aufmerksamkeitsspanne wurde mit jeder Sekunde die verstrich kleiner.

Vincent nahm einen Schluck Wasser. Unbeeindruckt vom offensichtlichen Desinteresse des Therapeuten erzählte er weiter.

 

„Das ist ganz einfach. Ich habe eine Gabe, die es mir ermöglicht zu erkennen, ob jemand lügt. Die Gabe ist allerdings noch viel mehr als das. Auf das richtige Thema angesprochen, ist es mir möglich zu erkennen, zu spüren, ob jemand schuldig ist.“

Die Stimmlage des Therapeuten änderte sich hörbar. „Sie wollen mir also erzählen, dass Sie jede Lüge erkennen und zugleich erkennen, wenn jemand schuldig ist?“

„Das habe ich gesagt, ja.“

Gency schaute wieder kurz auf die Uhr, bis sich seine Augen wieder in Richtung Vincent bewegten. Er stieß leicht genervt Luft aus. „Und wie genau machen Sie das?“

Vincent machte eine kurze Pause und sagte: „Ich sehe es in ihren Augen.“

„In ihren Augen? Ich verstehe.“, war die Antwort. Wie diese Antwort gemeint war, wäre allerdings jedem klar gewesen. Hierfür brauchte man keine Gabe. Eine kurze Erinnerung flackerte in Vincents Gedanken auf.