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Max Oppermann

Im Netz ohne doppelten Boden

Roman aus dem beschädigten Leben





BookRix GmbH & Co. KG
81669 München

Null

 

Im Netz ohne doppelten Boden

Max Oppermann

 

 

 

 

 

 

 

 

DAS FREMDE

hat uns im Netz,

die Vergänglichkeit greift

ratlos durch uns hindurch,

 

zähl meinen Puls, auch ihn,

in dich hinein,

 

dann kommen wir auf,

gegen dich, gegen mich,

 

etwas kleidet uns ein,

in Taghaut, in Nachthaut,

fürs Spiel mit dem obersten, fall-

süchtigen Ernst.

-Paul Celan-

 

 

 

 

 

 

Null

 

 

 

 

 

 

 

 

Es gibt kaum etwas auf dieser Welt, was verachtenswerter, niederträchtiger und heimtückischer ist als ein Versicherungsfachmann bei der Arbeit. Diese Spezies aus verschwendeten Zellen und unerfüllten Hoffnungen zeichnet sich nunmehr auch noch dadurch aus, dass sie ständig bei der Arbeit ist. Gleichsam einem General oder dem Papst sind sie niemals außer Dienst, was ihre Existenz noch unerträglicher macht, als sie sowieso schon ist. Es ist egal, unter welchen Namen sie auftauchen: Unternehmensberater, Versicherungsmakler, Fachmann, Finanzwirt, Bezirksbeauftragter, Hanswurst, Dämlack. Immer ist es der gleiche Typus, der sich hinter solchen Fantasienamen verbirgt, als stünden sie für eine besondere Leistung in der Menschheitsgeschichte. Wenn Raskolnikow nach seiner Tat in fiebriger Trance Tage voller Schuld dahindämmerte, so reiben die heutigen Raskolnikows sich nach erfolgreichem Werk diebisch die Hände. Wo es keine Strafe gibt, da gibt es auch kein Verbrechen. Dies ist die zugrunde liegende Logik, die durch ihre Klarheit besticht. Wenigstens das ist offensichtlich.

Doch was tue ich denn gerade hier?

Bin ich nicht derjenige, der in den Abgründen der Menschheit wühlt, sich im moralischen Schmutz suhlt und voller mies gespielter Überzeugung unsinniges Zeug daherredet, das nur einem Zweck dient? Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Noch nie hat ein dusseliger Spruch, der sich reimt, auch durch seinen Inhalt überzeugt. Wenn das Leben nur so einfach wäre! Doch lassen wir das Leben selbst reden und hören zu, was es uns zu sagen hat:

„Haben Sie Interesse an einer Optimierung Ihrer Finanzen? Die Hochmuth-Versicherungs-AG bietet für Sie, Frau Huber, und das ist ganz neu!, eine hundertprozentig kostenfreie Beratung zur Optimierung Ihrer Finanzen. Warum mehr ausgeben, wenn Sie gleiche Leistungen für weniger Geld haben können? Die Hochmuth-Versicherungs-AG hat deshalb die Möglichkeit, ein individuell auf Sie abgestimmtes Paket zusammenzustellen, das Ihren ganz individuellen Bedürfnissen gerecht wird. Ganz individuell! Ja, und liebe Frau Huber, habe ich schon erwähnt, dass dies alles für Sie absolut kostenfrei ist? Nein, nicht umsonst, sondern kostenfrei! Das ist doch toll. Ich würde vorschlagen, Frau Huber, ich komme einfach mal bei Ihnen vorbei, dann reden wir darüber, wie wir Ihr vorhandenes Einkommen optimaler verteilen können, damit Sie mehr von Ihrem Geld haben, Frau Huber. Denken Sie deshalb daran, Frau Huber, der Stichtag, ist bald. Der Gesetzgeber, das wissen Sie sicher Frau Huber, bietet nur noch dieses Jahr die Möglichkeiten, um Ihre Finanzen zu optimieren. Weshalb Geld dem Staat schenken, wo Sie doch so schwer dafür arbeiten, Frau Huber? Wir sollten uns deshalb schnellstens zusammenfinden. Wann passt es Ihnen am besten, Frau Huber? Achtzehn Uhr? Das klingt doch toll, Frau Huber. Richten Sie unbekannterweise Grüße an Ihren Gatten aus, Frau Huber. Tschüss, Frau Huber, und noch einen wunderschönen Tag, Frau Huber.“

Willkommen in meinem Kopf. Ich muss Sie vorwarnen, auch wenn Sie es sich selbst ausgesucht haben. Es wird keine angenehme Begegnung mit dem, was meine Gedanken sind. Sie sind das Konglomerat jahrtausendealter Fehlentwicklungen in der Geschichte der so genannten Zivilisation. Der Gipfel der Infamie, der Schlechtigkeit der modernen Gesellschaft – dies sind sie. Nichts weniger als das haben Sie eben schon zu spüren bekommen. Das Aufflackern der einzelnen Synapsen, die chemischen Reaktionen, das Bilden und das Abtöten von Nervenzellen. Sie sind allein dafür verantwortlich, was danach in Ihrem Kopf vorgeht. Aber vielleicht wollen Sie das? Vielleicht sind Sie nur eine weitere Spielart unseres Menschseins, das sich am Leid, am Zweifel und an der Sehnsucht des anderen ergötzt? Wenn es so ist, dann seien Sie willkommen. Sie sind in bester Gesellschaft.

Es gibt keinen einleuchtenden Grund, warum man so etwas, wie das eben geführte Telefonat, machen sollte. Kommen Sie mir ja nicht mit Geld, Freude oder sonstigen Ausreden. Glauben Sie mir, jedwede Ausredenkonstellation habe ich bereits durchexerziert, bis mir schlecht wurde. Nein, es gibt keinen ersichtlichen Grund, weshalb der Ursprung meines Entschlusses, das obige Telefonat zu führen, mehr als schändlich ist. Doch gibt es in unserer verdorbenen Welt überhaupt jemanden, der solche Verkommenheiten noch spürt, wie ein Seismograf das leichte Beben spürt? Sind wir nicht schon so versaut, dass wir jegliche Ablehnungshaltung der Bequemlichkeit in die Schuhe schieben? Wäre es nicht zu oberflächlich, zu sagen, man mache dies oder das, weil man es bequemer findet, als es zu unterlassen? So kommen wir zur Furcht, die jedoch nicht das Thema sein wird, da sie bereits von diesem oder jenen breit getrampelt wurde.

Ich habe keine Ahnung, was mit mir passieren wird. Genau genommen liegt es auch an Ihnen, da Sie jederzeit aus meinem Kopf aussteigen können, wenn Ihnen die Fahrt zu rasant wird. Leider kann ich das nicht. Ich kann kurzzeitig abbremsen, meinen Ekel betäuben oder die Reise beschleunigen. Aussteigen kann ich nur einmal.

Wie steht es mit Ihnen und Ihrem Kopf?

Wenn Sie annehmen, ich komme Ihnen entgegen, indem ich mich vorstelle, erkläre, was ich tue, darlege, warum ich etwas tue, haben Sie sich getäuscht. Es wird keinerlei Entgegenkommen meinerseits geben. Es würde keinen Sinn für Sie ergeben, was für mich Sinn macht. Erwarten Sie deshalb nicht zu viel. Auf keinen Fall werde ich Ihnen reißerisch versprechen, an den Grundfesten der menschlichen Existenz zu rütteln, dem Sein eine Bedeutung zu verleihen oder einen Gehalt abzusprechen, schon gar nicht werde ich Ihnen behilflich sein. Wir sollten niemals vergessen, dass diejenigen, die uns behilflich sein wollen, auch nur arme Schweine sind, in deren Kopf elektrische Blitze zucken, Blut durch brüchige Adern fließt und deren Freiheit des Willens aus jener gräulichen Grauzone stammt, aus der wir alle unser Streben beziehen. Doch dies ist leichter gesagt als getan.