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Nr. 759

 

Seuchenherd Cirgro

 

In der Gewalt der Krelquotten

 

von H. G. Ewers

 

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Zur Jahreswende 3819/20 beginnt sich die Machtkonstellation in der Galaxis Manam-Turu drastisch zu verändern. Atlans Hauptgegner, der Erleuchtete, der vor Jahresfrist Alkordoom verließ, um hier, an seinem Ursprungsort, sein Kunstgeschöpf EVOLO zu vollenden, ist nicht mehr.

Auch wenn Atlans größter Gegner nicht mehr existiert, die Lage in Manam-Turu ist deswegen noch lange nicht bereinigt. EVOLO ist im Februar 3820 bereits stärker, als der Erleuchtete es jemals war. Und das mächtige Psi-Geschöpf macht alle Anstalten, in die Fußstapfen seines Schöpfers zu treten.

Welche Gefahr für Manam-Turu EVOLO darstellt, hat bereits sein Wirken auf der Welt der Kaytaber gezeigt. Und dieser Trend wird noch verdeutlicht durch die Tatsache, dass EVOLO sogar auf Aklard unbemerkt unheilvolle Manipulationen vornehmen konnte.

Atlan indessen, der es im Zuge seiner künftigen Maßnahmen gegen EVOLO und das Neue Konzil für notwendig hielt, erneut den Planeten der Glückssteine anzufliegen, ist bei dem auf Cirgro herrschenden Psi-Chaos in eine bedrohliche Lage geraten.

Als Anima durch den »Ruf des Ritters« davon Kenntnis bekommt, hält sie nichts mehr auf Barquass. Zusammen mit ihren Gefährten macht sie sich auf den Weg zum SEUCHENHERD CIRGRO ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Anima – Der Ruf ihres Ritters führt die Orbiterin nach Cirgro.

Goman-Largo, Neithadl-Off und Nussel – Animas Gefährten.

Navak und Sutok – Zwei Meisterdiebe.

Nachdär, Sufrya und Dogkhan – Angehörige des Volkes der Krelquotten.

1.

Bericht Anima

 

Staub wallte in der Arena auf.

Das dumpfe Trommeln verstummte. Dafür erklang das helle Schmettern von Hörnern.

Der Gladiator hielt das Einhorn, auf dem er saß, mit gestrafften Zügeln zurück. Doch das Tier war zu erregt, als dass es sich völlig im Zaum hätte halten lassen. Es tänzelte im Mittelpunkt der mit Sand und Sägemehl bedeckten Arena und wirbelte noch mehr Staub auf.

Als das Schmettern der Hörner verklang, wurden zwei Gittertore geöffnet. In ihr Schleifen und Rasseln mischte sich das erwartungsvolle Murmeln der Menge auf den Sitzplätzen und in den Logen.

Es brach jählings ab, als aus den Toröffnungen je zwei gepanzerte Reiter stoben. Sie saßen nicht auf Einhörnern, sondern auf rot und schwarz gefleckten Echsen, die doppelt so groß waren wie das Einhorn des Gladiators.

Die Panzerreiter hielten sich am Rand der Arena. Zwei ritten rechts an der Bande entlang, zwei links. Ihre Tiere mäßigten die Geschwindigkeit und fielen in eine Art Trab, der plump und drohend zugleich wirkte, weil die Krallenfüße schwer und hart aufgesetzt wurden, so dass sie gleich kraftvoll geschlagenen Kriegstrommeln dröhnten.

Das Einhorn in der Mitte tänzelte inzwischen nicht mehr. Es stand still und zog die Luft geräuschvoll durch die geblähten Nüstern.

Der Staub legte sich.

Der Gladiator wurde deutlich sichtbar.

Er war humanoid wie die vier Panzerreiter, aber nicht grobschlächtig, sondern von edler Gestalt. Edel war auch sein Gesicht. Das weißblonde Haar fiel lang und voll auf seine Schultern. Die Brauen zogen sich leicht zusammen, als er aufmerksam die Gepanzerten musterte.

Er selbst trug eine fast elegante schwarze Rüstung, einen dunkelroten Rundschild und ein mittellanges Schwert im Gehänge an seiner Seite. Seine Hände staken in schwarzen Kettenhandschuhen.

Nachdem er die Musterung seiner Gegner abgeschlossen hatte, nahm er den Helm vom Sattelknauf und setzte ihn sich auf. Es war ein eigenartig aussehender schwarzer Helm, der statt eines Visiers eine leicht vorgewölbte, durchsichtige Gesichtsscheibe besaß.

Er verzog keine Miene, obwohl er nicht daran zweifeln konnte, dass seine Gegner ihm hoch überlegen waren. Als sie ihre Tiere durch gellende Schreie anfeuerten, ließ er sein Einhorn aus dem Stand heraus angaloppieren und lenkte es zu den beiden von links kommenden Gegnern.

Es war klar, was er bezweckte.

Er wollte einen gleichzeitigen Angriff von vier Gegnern auf sich vermeiden, indem er versuchte, zwei von ihnen durch eine rasche Attacke zu schlagen und sich erst danach den beiden anderen zuzuwenden.

Er konnte es nicht schaffen.

Die beiden von rechts kommenden Gegner trieben ihre Tiere an und galoppierten hinter ihm her. Sie würden ihn eingeholt haben, bevor er seinen Kampf mit den anderen Gegnern ausgefochten hatte.

Zumindest versuchte er jedoch, sein Ziel zu erreichen – und er entwickelte eine überraschende Schnelligkeit. Er riss das Schwert aus der Scheide und schwang es mit der rechten Hand über seinem Kopf, während er den ersten Gegner so anritt, als wollte er ihm die rechte Seite zuwenden.

Doch das war eine Finte.

Kurz bevor er ihn erreichte, ließ er sein Einhorn eine Art Bocksprung vollführen – und weiter galoppieren. Plötzlich jagte er mit der linken Seite auf den Gegner zu. Gleichzeitig warf er das Schwert von der rechten in die linke Hand. Im nächsten Moment traf und fällte es den Gegner.

Das Ganze hatte nur wenige Sekunden gedauert, und der Gladiator hätte vielleicht auch den nächsten Gegner ausgeschaltet, bevor die beiden anderen Gegner ihn einholten, wenn er seiner Echse nicht die Sporen gegeben hätte, so dass sie plötzlich davonpreschte.

Die Menge stöhnte dumpf.

Der Gladiator riss das Einhorn herum. Da hatten die beiden anderen Gegner ihn auch schon eingeholt. Sie nahmen ihn in die Zange und hieben mit ihren Langschwertern auf ihn ein. Er parierte die Schläge mit Schild und Schwert. Es gelang ihm dank seiner Kraft, seines Geschicks und seiner Schnelligkeit.

Zu mehr kam er nicht.

Zwar versuchte er, mit einem blitzartigen Gegenstoß durchzubrechen, doch sein Einhorn hatte gegen die viel größeren Echsen keine Chance. Sie schnappten nach ihm, und ihre Zähne waren lang und scharf wie Dolche. Sein Reiter musste ihre Angriffe abwehren, um es zu schützen. Damit war sein Gegenstoß natürlich ins Wasser gefallen.

Die beiden Gegner nutzten ihren Vorteil und drängten ihn immer näher an die Bande. Zu allen Überfluss trabte auch der dritte Gegner wieder an.

Es war abzusehen, wann der Gladiator so eingeengt sein würde, dass er überhaupt keinen Spielraum mehr hatte. Dann würden ihm alle Kraft, alle Schnelligkeit und aller Mut nichts mehr nützen.

Er war schon jetzt so gut wie tot ...

 

*

 

Ich schrie, als das Bild der Arena und der Kämpfenden vor meinem geistigen Auge erlosch.

Er würde sterben.

Mein Ritter war verloren – und ich konnte ihm nicht beistehen.

Wie hätte ich ihm auch helfen sollen, wo ich nicht einmal mehr zu sehen vermochte?

Die »übersinnliche« Verbindung zu ihm war abgerissen wie ein morscher Faden.

Vielleicht hauchte er in diesem Moment schon sein Leben aus: der Gladiator, der kein anderer war als mein Ritter Atlan.

Eine feuchtwarme Berührung im Nacken und ein liebevolles Schnauben lösten die Starre, in die ich aus Furcht um Atlan verfallen war. Ich konnte mich wieder bewegen.

Als erstes öffnete ich die Augen und sah, dass ich mich in der Zentrale der STERNENSEGLER befand. Danach nahm ich meine Hände von dem komischen Aufbau, der aus dem KOM-Sektor der Bordpositronik ragte. Es knisterte dabei. Statische Energie. Zwischen POSIMOL und mir musste Energie geflossen sein.

Unmöglich!, war mein erster Gedanke.

Aber dann erinnerte ich mich wieder an das grüne Leuchten, in das die ganze Zentrale getaucht gewesen war, bevor ich durch Zeit und Raum meinen Ritter im Kampf auf Leben und Tod gesehen hatte.

Es war das gleiche Grün gewesen wie die Farbe des unteren Zwergsterns, aber es konnte nicht sein Licht gewesen sein, denn es gab kein Licht, das von außen in die Zentrale fallen konnte. Wahrscheinlich hatte es sich um dimensional übergeordnete Energie gehandelt. Das wäre auch eine Erklärung für die Ermöglichung meiner geistigen Präsenz bei Atlan gewesen – und für den Energiefluss zwischen POSIMOL und mir.

Seufzend richtete ich mich auf.

»Es besteht keine Gefahr mehr, Anima«, sagte eine wohltönende Stimme.

Ich drehte mich um und legte liebkosend die Hand über Nussels Nüstern.

»Danke, mein Freund«, sagte ich.

Dabei musterte ich die Bildschirme der Außenbeobachtung und erkannte, warum Nussel glaubte, dass wir außer Gefahr seien. Es gab nämlich auf den Schirmen nur das Grau des Zwischenraums mit seinen ebenso charakteristischen wie undefinierbaren Leuchterscheinungen.

Wir befanden uns demnach auf einer Linearetappe – und normalerweise konnte uns dabei niemand und nichts etwas anhaben. Dennoch blieb ich skeptisch. Manam-Turu hatte sich schon mehrfach als eine von mächtigen und mörderischen Kräften durchwobene Sterneninsel erwiesen, in der man sich niemals wirklich sicher fühlen durfte.

Nussel ließ den Kopf hängen. Seine Augen blickten plötzlich dunkel und traurig.

»Du hast mich ›Freund‹ genannt«, sagte er leise. »Aber das verdiene ich nicht. Du musst dich vorhin sehr vor mir gefürchtet haben.«

»Ich – mich vor dir gefürchtet?«, fragte ich verwundert. »Aber wieso?«

Das Einhorn schniefte.

»Du hast es gar nicht bemerkt? Aber ich habe getobt und um mich getreten, dass der Modulmann sogar nach Robotern rief, die mich bändigen sollten. Natürlich kamen keine Roboter. Nichts funktionierte bei dem grünen Leuchten im Schiff so, wie es funktionieren sollte. Wahrscheinlich war es auch das grüne Leuchten, das mich zur Raserei trieb.«

»Ich habe wirklich nichts davon bemerkt«, erwiderte ich.

Dabei warf ich einen Blick auf die Stelle, an der ich die ganze Zeit über gekauert hatte.

Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf.

»Wenn du tatsächlich so schlimm getobt und um dich getreten hättest, wie du denkst, dann wäre ich auf meinem exponierten Platz garantiert von deinen Hufen getroffen worden«, stellte ich fest. »Ich kann eigentlich nur davongekommen sein, wenn dein Unterbewusstsein die ganze Zeit über aufgepasst hat, dass du mir nicht zu nahe kommst. Eine solche Leistung aber bringt nur ein wahrer Freund fertig.«

Nussels Augen schimmerten plötzlich feucht.

»Ich liebe dich, Anima«, gestand er.

Beinahe hätte ich ihn zurückgewiesen. Gerade noch rechtzeitig rief ich mir ins Bewusstsein, dass Liebe bei einem Tier absolut nichts mit Sexualität zu tun haben brauchte wie bei uns so genannten echten Intelligenzen. Für ein Tier war Liebe eben zuallererst der höchste Grad der Zuneigung und nur in Ausnahmefällen mit sexueller Begehrlichkeit gekoppelt. Nur die Affen machten eine Ausnahme, hatte Atlan manchmal gesagt und hatte hinzugefügt: Aber das liegt daran, dass sie von den Menschen abstammen.

Ich drückte Nussel einen herzhaften Kuss aufs Maul.

Dann besann ich mich wieder darauf, dass ich ja nicht auf einer Vergnügungstour, sondern auf der Suche nach meinem Ritter Atlan war. Zwar hatte ich unterdessen etwas Distanz zu dem Geschehen gewonnen, dessen Zeugin ich durch Raum und Zeit gewesen war, und ich war sicher, dass ich nicht wirklich das gesehen hatte, was sich wirklich abspielte, sondern dass dem Geschehen mehr symbolischer Charakter beizumessen sei, aber ich war auch davon überzeugt, dass es mir eine Gefahr signalisieren sollte, in der mein Ritter schwebte.

Es wurde allerhöchste Zeit, dass ich die Initiative ergriff, um ihm so schnell wie möglich zu Hilfe zu kommen, statt mich in allen möglichen Erörterungen zu ergehen.

»Wo sind Neithadl-Off und Goman-Largo?«, erkundigte ich mich.

»Ich weiß nicht«, sagte Nussel, ging rückwärts und bewegte suchend den Kopf hin und her. »Einmal sah ich den Modulmann auf einem Schaltpult. Er muss vor mir hinaufgeflüchtet sein. Aber wo er jetzt ist und wo sich Neithadl befindet, weiß ich nicht.«

»Ich hatte eigentlich auch nicht dich, sondern POSIMOL gefragt«, entgegnete ich. »POSIMOL, antworte!«

Aber die Bordpositronik schwieg sich aus.

Sie schien indisponiert zu sein. Anscheinend war ihr das grüne Leuchten nicht bekommen.

Doch wenn POSIMOL nicht mehr funktionierte, gab es nur einen Platz, den ein so ausgeprägter Pragmatiker wie der Modulmann aufgesucht haben konnte.

Das Cockpit für den Solo-Piloten!

»Sieh dich im Schiff nach Neithadl-Off um!«, rief ich dem Einhorn zu.

Danach eilte ich zum Durchgang für die Backbord-Sektionen, lief durch den Korridor unter den Umsetzerblöcken für die Normal- und Hyperfunkantennen und sprang die Stufen zum Cockpit hinauf.

Und dort saß er!

Goman-Largos Gesicht wirkte angespannt. Die Lider waren vor Konzentration halb gesenkt, die Wangenknochen traten hervor und die Lippen waren zusammengepresst. Schweißtropfen perlten vom Haaransatz, liefen über die Stirn und blieben in den Augenbrauen hängen.

Ich blieb stehen und hielt die Luft an.

Der Modulmann sah mich nicht. Er schien in sich hinein zu lauschen. Dabei bewegte er mit je zwei Fingern die daumengroßen Sticks, wenn er nicht gerade mit den Fingerkuppen über ein paar Dutzend der zu mehreren Hunderten vorhandenen Sensorpunkte huschte. Ab und zu betätigte er dazu noch die Armdruckleisten durch Heben oder Senken der Unterarme.

Was steuerte er – während einer Linearetappe?

»Ja!«, flüsterte er, ohne mich zu bemerken. »Es ist alles geschaltet, wie du es verlangt hast, Prinzessin. Wenn es die Brücke von Llokyr wirklich gibt, kann die STERNENSEGLER jetzt über sie springen. Es sei denn, du hättest mir nur etwas vorgeflunkert und die Schaltungen wären irrsinnig gewesen.«

»Vorgeflunkert!«, kreischte eine Stimme aus dem VZ-Armband an Goman-Largos rechtem Unterarm. »Vergiss nicht, dass ich eine Wissenschaftlerin bin – und eine Wissenschaftlerin weiß immer genau, was sie tut und sagt.«

»Außer wenn sie lügt«, konnte ich mir nicht verkneifen einzuwerfen.

»Was war das?«, pfiff die Vigpanderin schrill, dass es mir fast das Gehirn zerriss. »Wer hat mich da verleumdet?«

»Dich kann niemand verleumden, Prinzessin«, erklärte Goman-Largo mit Engelsgeduld. »Vergiss nicht, dass du im Maschinenraum bist! Wenn etwas schiefgeht, wirst du womöglich gebraten.«

»Das macht mir nichts aus!«, pfiff die Vigpanderin. »Am Hofe von König Scabrantus von der Galaxis Dorifanh habe ich mich einmal gebraten und ...«

Sie stockte, als sie merkte, welchen Unsinn sie dahergeredet hatte, aber im nächsten Moment fuhr sie ohne die geringste Verlegenheit fort:

»Am Herd verbrannt, meinte ich natürlich. Es war so ähnlich wie gebraten. Aber ich habe keine Miene verzogen, sondern den Kuchen gebacken, wie ich es Scabrantus versprochen hatte.«

Sie schrie auf.

Ich hörte über das Funkgerät das Trappeln von Hufen, erregtes Schnaufen, ein Scharren und dann erneut das Hufgetrappel, begleitet von schleifenden Geräuschen.

Im nächsten Moment schüttelte sich die STERNENSEGLER. Grelle Blitze zuckten über die Bildschirme und Funken tanzten über die Sensorpunkte.

Mit einem lauten Knacken sprangen mehrere Schaltplatten heraus – und der dicke gelbe Sensorpunkt rechts von Goman-Largo leuchtete auf.

»Achtung!«, sagte die unverkennbare Stimme von POSIMOL. »Durch noch unbekannte Manipulationen wurde die RAJJA von einem Linearkurs auf einen ganz anderen versetzt. Dadurch ging automatisch die Kontrolle wieder an mich über. Falls du erneut übernehmen willst, brauchst du nur wieder den gelben Sensorpunkt zu berühren, Modulmann.«

»Nicht, wenn es nicht unbedingt nötig ist«, erwiderte Goman-Largo und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Ich habe mich angestrengt. Siehst du irgendwo die Vigpanderin, POSIMOL?«

»Ja«, antwortete die Positronik. »Neithadl-Off befindet sich im Hauptkorridor und hat sich gerade von Nussel befreit, der sie mit seinem Horn an einem Tragegurt gepackt und aus dem Maschinenraum geschleppt hatte.«