cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 87

 

Der lemurische Kriegskalender

 

Der Weltraumdetektiv greift ein – der Kampf um das Erbe Lemurias entbrennt

 

von H. G. Ewers

 

img2.jpg

 

Auf Terra, den Welten des Solaren Imperiums und den Stützpunkten der United Stars Organisation, schreibt man den Monat Februar des Jahres 2842, das voller Gefahren und Überraschungen ist.

Seit dem Verschwinden Lordadmiral Atlans, der bei einem Alleingang entführt wurde und dessen Spur trotz fieberhafter Suche noch nicht entdeckt werden konnte, sind für viele Mitarbeiter der USO und ähnlicher Organisationen des Solaren Imperiums schwere Tage angebrochen.

Nicht genug damit, dass die Agenten und Spezialisten die Galaxis nach dem verschwundenen Lordadmiral durchforschen – sie haben noch eine zweite Aufgabe zu erfüllen: Sie sollen eine Gefahr bannen, die immer mehr bewohnte Welten zu vernichten droht.

Die Gefahr geht aus von dem so genannten »Suddenly-Effekt«, einem Phänomen, das die plötzliche Ablagerung riesiger planetarischer Trümmermassen auf anderen Himmelskörpern bewirkt.

Was die Unbekannten, die den Suddenly-Effekt verursachen, mit ihrem zerstörerischen Wirken für einen Zweck verfolgen, bleibt den Verantwortlichen der USO immer noch unklar. Doch dann kommt allmählich Licht in das mysteriöse Dunkel, als die Überlebenden der ABERDEEN untersucht werden. Außerdem wird eine neun Jahre alte Spur zurückverfolgt.

Hauptteil dieser Spur ist DER LEMURISCHE KRIEGSKALENDER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Baggo Arnvill – Ein erfolgreicher Privatdetektiv.

Admiral Leonid Nurejew – Offizieller Stellvertreter des Lordadmirals.

Ronald Tekener – Geheimer Stellvertreter des Lordadmirals.

Murodir Jakobson – Direktor des Lemuria-Museums.

Feodor Rojankowsky – Ein Antiquitätenliebhaber.

Amjana Rojankowsky – Rojankowskys Tochter.

1.

 

Quinto-Center ...

Das Hauptquartier der United Stars Organisation, benannt nach dem im Jahre 2115 gefallenen Oberst Nike Quinto, dem Chef der Interkosmischen Sozialen Entwicklungshilfe, verbarg sich im ausgehöhlten Innern eines 62 Kilometer durchmessenden Mondes, der mit technischen Mitteln aus seiner Umlaufbahn gerissen und im interstellaren Raum stationiert worden war.

Nahe eines gigantischen kosmischen Spinnennetzes, dessen Fäden aus unsichtbaren Großtransmitterverbindungen bestanden, die den direkten Kontakt zu 182 Geheimstationen der USO aufrecht erhielten. Indirekt stand das Hauptquartier der USO mit allen bekannten Planeten der Galaxis in Verbindung. Hier liefen die von Millionen Augen und Ohren gesammelten Informationen zusammen, wurden analysiert und synthetisiert, bis sie ein klares Bild der Lage und der Vorgänge im Sternennebel der Menschheit ergaben.

Wurde das Bild durch irgendwelche Einflüsse verschleiert, bekamen Spezialisten von Quinto-Center den Auftrag, an Ort und Stelle Nachforschungen anzustellen und Daten zu sammeln, die das Bild aufhellten und die Konturen von Ereignissen klar hervortreten ließen.

In diesem Stadium befanden sich die Ermittlungen hinsichtlich des ebenso rätselhaften wie bedrohlichen Suddenly-Effektes am 27. Februar des Jahres 2842.

Der Suddenly-Effekt – plötzliche Materialisierung strahlender Materie auf Planeten, mit dem Resultat, dass die Oberflächenkrusten jener Planeten unter dem Gewicht der materialisierten Massen einsanken, brachen und sich verschoben. Verheerende Sintfluten, Orkane und Vulkanausbrüche nebst Beben waren die Folgen. Ganze Zivilisationen gingen unter, und mit ihnen Milliarden Lebewesen.

Lordadmiral Atlan, Chef der United Stars Organisation, war zufällig auf den Suddenly-Effekt gestoßen, als er in geheimer Mission zum Planeten Koetanor-Delp, einer Welt auf der Eastside unserer Milchstraße, gereist war, um dort seine Freundin aus früheren Tagen, die akonische Wissenschaftlerin Nuramy von Potrinet, zu treffen.

Was Atlan nicht gewusst hatte, war, dass diese Nuramy von Potrinet nicht die war, die er einst geliebt hatte, sondern ihre Enkelin, die den gleichen Namen trug. Er hatte auch nicht wissen können, dass diese Akonin ihn nach Koetanor-Delp bestellt hatte, um ihn zu töten. Nuramy von Potrinet hatte ihre Absicht geändert, als ihr verschiedene Zusammenhänge klar wurden – und als sie dem Lordadmiral der USO begegnete, hatte sie sich in ihn verliebt. Doch diese Liebe war nicht frei von Vorurteilen gewesen, von uralten Vorurteilen der Akonin gegenüber dem Arkoniden.

Aus diesem Grunde hatte Nuramy von Potrinet Atlan nicht zu seinen Leuten gehen lassen, als das Unheil in Form des Suddenly-Effektes über Koetanor-Delp hereinbrach. Sie hatte ihn entführt – und war in der Folgezeit zusammen mit ihm in gefährliche Abenteuer verwickelt worden.

Aber auch Lordadmiral Atlan hatte schwerwiegende Fehler begangen, die ebenfalls aus seinen Vorurteilen gegenüber den Akonen resultierten. Das hatte die Lage noch mehr kompliziert und vorerst eine endgültige Aufhellung der Hintergründe des Suddenly-Effektes verhindert.

In Quinto-Center wusste niemand, was aus dem Chef der USO geworden war. Nach den Ereignissen auf Koetanor-Delp verlor sich seine Spur zwischen den Sternen.

Und so war im Hauptquartier der United Stars Organisation USO-Admiral Leonid Nurejew an Atlans Stelle getreten ...

Admiral Nurejew war 92 Jahre alt, 1,82 Meter groß, sehr hager und ging stets etwas vornübergebeugt. Aus seinem gelbhäutigen, wie von altem Pergament überzogenen Gesicht stach die Adlernase dominierend hervor. So trocken wie Nurejew aussah, so trocken dachte und handelte er auch.

Als er an diesem 27. Februar des Jahres 2842 eine Hyperkomnachricht vom Medo-Planeten Tahun erhielt, die besagte, dass dort fünf Überlebende des USO-Kreuzers ABERDEEN eingeliefert worden seien und eine äußerst sonderbare Verhaltensweise an den Tag legten, verließ Admiral Leonid Nurejew seine Befehlszentrale im geometrischen Mittelpunkt von Quinto-Center und begab sich in eine hermetisch abgeriegelte Sektion, zu der nur ein eng begrenzter Personenkreis Zugang hatte.

Nachdem ihn Robotgeräte überprüft und seine Identität einwandfrei festgestellt hatten, musste der Admiral durch einen stählernen Tunnel gehen, in dessen Wänden alle möglichen Arten von Vernichtungsinstrumenten lauerten – bereit, jeden Spion oder Attentäter in Sekundenschnelle zu vernichten.

Vor dem Panzerschott am Ende des Tunnels blieb Nurejew stehen und sagte ironisch:

»Es würde mich freuen, wenn Sie jetzt endlich die Güte hätten, mich vorzulassen, Sir.«

Das Panzerschott öffnete sich.

Dahinter lag ein Raum, der in seiner Instrumentierung weitgehend der Befehlszentrale des Admirals glich, nur dass alles kompakter gehalten war.

Bei Nurejews Eintritt erhob sich ein großer, athletisch gebauter Mann von seinem Platz hinter dem KOM-Gerät, an dem er bisher in Verbindung mit der Hauptpositronik von Quinto-Center gestanden hatte. Er neigte leicht den Kopf und sagte:

»Entschuldigen Sie bitte die langwierige Prozedur, Admiral Nurejew. Leider ist sie notwendig. Niemand außer einem kleinen Kreis von Vertrauten darf erfahren, dass der Chef der UHB auf Satisfy insgeheim als Stellvertretender Lordadmiral der USO fungiert. Mein ganzes Renommee in Unterweltkreisen wäre unwiederbringlich dahin, wenn auch nur etwas von meiner wahren Rolle durchsickerte.«

Er legte eine kleine Pause ein, während der er Nurejews Gesicht musterte. Dann lächelte er.

»Bitte, nehmen Sie Platz, mein Lieber. Ihr Gesichtsausdruck ist wieder einmal so vielsagend wie der der Sphinx, was mich vermuten lässt, dass Sie galaxiserschütternde Neuigkeiten in dem biologischen Computer unter Ihrer Schädeldecke herumtragen.«

Admiral Nurejew ließ sich in einen bequemen Sessel sinken, stopfte seine Pfeife und zündete sie umständlich an.

»So ist es, Sir«, antwortete er. »Wie Sie wissen, gab Spezialist Leutnant Garden Dementis vor einigen Tagen eine Alarmmeldung an uns durch, nach der auf dem Planeten Carmo II ebenfalls strahlende Trümmermassen materialisierten.«

»Was ich weiß, brauchen Sie nicht zu wiederholen, Admiral«, erwiderte der athletisch gebaute Mann, der kein anderer war als Ronald Tekener. »Beginnen Sie bitte mit dem, was ich nicht weiß.«

Leonid Nurejew blickte ungerührt auf einen imaginären Punkt an der Wand.

»Es ist notwendig, die Dinge im Zusammenhang zu sehen, wenn man sie begreifen will, Sir. Wie Sie wissen, entdeckte Leutnant Dementis zwischen den materialisierten Trümmermassen die ABERDEEN. Er drang in das schwer beschädigte Schiff ein und fand einige Mitglieder der Besatzung.

Die Männer waren leider nicht ansprechbar. Sie reagierten nicht auf seine Fragen. Genaugenommen verhielten sie sich so, als existierte Dementis überhaupt nicht.

Garden Dementis fand heraus, dass eine offenbar noch aktive Gruppe das Schiff verlassen hatte und auf dem Riesenplaneten umherirrte. Er nahm ihre Spur auf und fand sie schließlich. Es handelte sich um Major Joseph Agara, den Kommandanten der ABERDEEN, und vier Mann seiner Besatzung.

Die Männer befanden sich in einem ähnlichen Zustand wie die, die im Schiff zurückgeblieben waren. Sie waren einfach nicht ansprechbar. Im Verlauf der eingeleiteten Aktion zur Evakuierung der Siedler von Carmo II konnten auch Leutnant Dementis und die Gruppe Agara geborgen werden. Die in der ABERDEEN gebliebenen Überlebenden kamen um, als das Wrack von einem ausbrechenden Vulkan vernichtet wurde. Aus diesem Grund konnten auch keine positronischen Speicherdaten mehr aus dem Kreuzer geborgen werden.«

Ronald Tekener nickte.

»So weit, so gut – oder so schlecht, Admiral. Ich hoffe, die fünf Überlebenden der ABERDEEN sind inzwischen wohlbehalten auf Tahun eingetroffen und konnten dort befragt werden.«

»Nicht direkt, Sir«, antwortete Nurejew. »Leider blieben sie unansprechbar – auch nach der Behandlung mit den Mitteln, die uns auf Tahun zur Verfügung stehen. Glücklicherweise konnte ich erreichen, dass der Großadministrator uns den Telepathen Fellmer Lloyd zur Verfügung stellte.

Lloyd traf gestern auf Tahun ein und holte telepathisch Informationen aus den geretteten Männern der ABERDEEN heraus.«

Er machte eine Pause, musterte ärgerlich seine ausgegangene Pfeife und steckte sie dann in eine Brusttasche seiner Kombination.

»Interessant«, sagte Tekener trocken.

Zum ersten Mal lächelte Nurejew.

»Eigentlich wird es erst jetzt interessant, Sir. Lloyd berichtete nämlich, er hätte aus den Gedankeninhalten der Geretteten erfahren, dass die ABERDEEN am zwölften Februar ins Argnos-System eingeflogen sei, weil sie dort fünfdimensionale Impulse angemessen habe. Die verdächtigen Impulse kamen vom fünften der insgesamt vierzehn Planeten, von Roulawan.

Als die ABERDEEN sich Roulawan näherte, maßen ihre Ortungsgeräte einen achttausend Meter durchmessenden Energiering an, der im rechten Winkel zur Oberfläche auf dem Planeten stand.«

»Ein Situationstransmitter!«, entfuhr es Ronald Tekener.

»Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit, ja, Sir. Major Agara ging mit der ABERDEEN näher an das geortete Phänomen heran. Weder er noch die anderen Besatzungsmitglieder des Kreuzers hatten je zuvor einen Situationstransmitter gesehen, aber sie kannten derartige Dinger natürlich aus den während des Großen Andromedakrieges angefertigten Bildtonaufzeichnungen, die jedem USO-Spezialisten während seiner Ausbildung vorgeführt werden.

Als Agara eine Hyperkomnachricht durchgeben wollte, trat die Katastrophe ein. Der Transmitterring kippte ohne jede Vorwarnung, so dass das Schiff nicht mehr ausweichen konnte und in die Entmaterialisierungszone geriet.

Von da an verwirren sich die Erinnerungen der Geretteten. Sie widersprechen sich sogar teilweise, möglicherweise infolge eines Schocks, der von der Transmission hervorgerufen wurde. Die Männer der ABERDEEN müssen längere Zeit im Hyperraum festgehangen haben, und während dieser Zeitspanne zog sich jeder nach und nach in sich selbst zurück.

Zuerst erloschen die Gefühle, dann trat Kontaktarmut ein – und schließlich bestand für die Betroffenen das Universum nur noch aus ihrem eigenen Ich. Die Kommunikationsfähigkeit mit der Umwelt erstarb. Major Agara und vier seiner Männer scheinen noch etwas länger als die übrigen Besatzungsmitglieder aktiv geblieben zu sein, sonst hätten sie nicht die ABERDEEN verlassen. Zur Zeit aber sind sie völlig unansprechbar.«

Er klopfte seine Pfeife aus und stopfte sie sich neu.

Ronald Tekener nickte bedächtig.

»Aus Menschen sind demnach seelenlose biologische Maschinen geworden, Admiral. Das wollten Sie doch sagen. Aber wie erklären sich die Wissenschaftler auf Tahun diesen Zustand? Wodurch wurde er hervorgerufen?«

Admiral Nurejew zündete seine Pfeife nicht an, sondern hielt sie in der Hand.

»Es klingt zuerst verrückt, aber bei einigem Nachdenken leuchtete es mir ein«, sagte er tonlos. »Die Expertengruppe auf Tahun, die Agara und seine Leute untersuchten und Fellmer Lloyds Aussagen überprüfte, behauptet, davon ausgehend, dass jeder Mensch latent parapsychisch begabt sei, diese Begabung hätte ihre Ursache in einem normalerweise nicht anmessbaren Quantum Psi-Materie, die sich im Gehirn eines jeden denkenden Wesens befände.

Diese individuelle Psi-Materie, die identisch sein soll mit dem, was wir gemeinhin ›Seele‹ zu nennen pflegen, wäre beim Durchgang durch den Situationstransmitter verlorengegangen. Agara und die übrigen vier Geretteten hätten also ihre ›Seelen‹ verloren. Das Resultat sei die bei ihnen beobachtete Kontaktarmut, die Gefühllosigkeit und die fehlende Kommunikation mit der Umwelt.«

Tekener war blass geworden.

»Das ist ungeheuerlich«, sagte er leise. »Aber ich frage mich, warum die Frauen und Männer, die während des Andromedakrieges durch Situationstransmitter gingen, nicht ebenfalls ihre individuelle Psi-Materie verloren haben.«

»Wahrscheinlich basierte die Funktion der MdI-Transmitter teilweise auf einem anderen Prinzip als die derjenigen, mit denen die Trümmermassen befördert werden.«

Ronald Tekener ging in seiner Geheimzentrale auf und ab. Nach einer Weile blieb er vor Leonid Nurejew stehen und erklärte:

»Akon! Ich halte nur die Akonen mit ihrer uralten Transmittertechnik für fähig, ähnliche Situationstransmitter zu entwickeln, wie die Meister der Insel sie besaßen. Wir werden deshalb unsere Ermittlungen auf die Akonen konzentrieren. Wahrscheinlich ...«

Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, weil in diesem Augenblick der Telekommelder seines kleinen Armbandgerätes summte.

Tekener runzelte die Stirn. Er hatte den Eingeweihten strikte Anweisung gegeben, ihn in seinem Versteck nur im Notfall anzurufen.

Er schaltete den Armbandtelekom ein und winkelte den Arm an, um den Aufnahmeteil näher an seinen Mund zu bringen.

»Adler hier!«, meldete er sich mit dem vereinbarten Kodewort.

»Hier Oberst Curtiss, Sir«, flüsterte es aus dem Gerät. »Wichtige Meldung von einem unserer Schiffe. Es fing den Hilferuf eines Mannes auf, der sich Baggo Arnvill nennt und behauptet, früher für den Lordadmiral gearbeitet zu haben. Kennen Sie diesen Arnvill, Sir?«

Ronald Tekener holte tief Luft.

Er erinnerte sich noch gut an jenen USO-Spezialisten namens Baggo Arnvill, der früher in der Maske eines Privatdetektivs in Terrania City für den Lordadmiral persönlich gearbeitet hatte.

Baggo Arnvill war vor rund neun Jahren im Zusammenhang mit einer undurchsichtigen Affäre, in deren Verlauf der Lemurische Kriegskalender aus dem Lemuria-Museum in Terrania City gestohlen wurde, spurlos verschwunden. Die USO hatte seine Spur bis nach Lepso verfolgen können und sie dann endgültig verloren. Seitdem hatte man nie mehr etwas von dem Mann gehört.

Und ausgerechnet jetzt tauchte Baggo Arnvill wieder auf.

»Ja, ich kenne ihn, Oberst«, antwortete Tekener. »Veranlassen Sie, dass er so schnell wie möglich nach Quinto-Center gebracht und mir vorgeführt wird. Ende.«

 

*

 

Neun Jahre zurück ...

Baggo Arnvill erwachte vom Dröhnen der Posaunen des Jüngsten Gerichts. Jedenfalls glaubte er, Posaunen dröhnen zu hören. Als sich der Nebel in seinem Gehirn etwas gelichtet hatte, merkte er, dass es der Musikwecker war, der ihn mit Schlagerklängen aus dem Reich der Träume gerissen hatte.

Er verwünschte sich, dass er das Gerät nicht ausgeschaltet hatte, als er nach Mitternacht nach Hause gekommen war. Er holte das Versäumte nach, dann setzte er sich auf die Bettkante und wartete darauf, dass sich seine Umgebung weniger schnell drehte.

Baggo hatte das Gefühl, als befände sich in seiner Schädelkapsel ein alkoholgetränkter Schwamm an Stelle des Gehirns. Undeutlich erinnerte er sich an die Party bei Josefine Claridge, der berühmten Trivideo-Schauspielerin. Vor seinem geistigen Auge stiegen die Gesichter der anderen Gäste auf: Schauspieler, Regisseure, Trivideo-Autoren, der Kosmo-Reeder Kasiakis mit seiner Gespielin – und natürlich Belinda.

Irgendwann im Verlauf der Party hatte es einen Riesenkrach mit Belinda gegeben, als sie ihn in einem schattigen Winkel des Dachgartens mit Josefine erwischt hatte.

Baggo Arnvill grinste müde.

Natürlich war es ihm gelungen, die ganze Sache als freundschaftlich-harmlos darzustellen – und natürlich war die Versöhnung zwischen ihm und Belinda mit Unmengen Alkohol begossen worden. Irgendwann war dann der Faden gerissen. Baggo vermochte sich nicht zu erinnern, wie er nach Hause gekommen war. Sein Servoroboter musste ihn ausgezogen und ins Bett gebracht haben.

Ein Blick auf den leuchtenden Chronographenstreifen über dem Trivideogerät zeigte Baggo, dass es bereits zehn Uhr war. Seufzend erhob er sich und wankte in die Nasszelle. Eine Wechseldusche mit anschließender Massage sowie eine Neutralisierungsinjektion weckten seine Lebensgeister.

Baggos Servoroboter half ihm in die Kleidung und servierte das Frühstück, das vor allem aus viel starkem schwarzen Kaffee bestand. Als Baggo anschließend eine Narkozigarette rauchte, fühlte er sich schon wieder als vollwertiger Mensch.

Bevor er sein Luxusapartment verließ, blickte er in den Feldspiegel. Die reflektierende Energie zeigte ihm einen mittelgroßen (genau 1,78 Meter) Mann mit ebenmäßigem Gesicht und schwarzem Lockenhaar. Er übersah geflissentlich, dass sein Gesicht durch zahllose Ausschweifungen etwas aufgeschwemmt war und die Augäpfel rötlich schimmerten. Der elegante Maßanzug verbarg den Bauchansatz geradezu perfekt.

Leise pfeifend verließ Baggo Arnvill sein Apartment und fuhr mit dem Expresslift zur unterirdischen Gleitergarage. Sein schokoladenbrauner Luxusgleiter war exakt auf dem Parkfeld abgestellt. Baggo stieg ein und schaltete die Steuerung von TOTALROBOTISCH auf MANUELL um.

Auf schwach summenden Antigravkissen schwebte der Gleiter eine Rampe hinauf. Baggo steuerte ihn in einen Anschlusstunnel und ordnete sich auf dem 78. Verteilerkreisel Nord in die unterirdische Gleiterstraße ein, die direkt unter dem 17. Stadtbezirk hindurchführte. Dort angekommen, verließ er die Hauptstraße wieder und schwebte nach kurzer Fahrt in die Subgarage des Hochhauses ein, in dem sich sein Büro befand.

Abermals benutzte Baggo Arnvill einen Expresslift. Im obersten Stock des Hochhauses verließ er die Pneumokabine und stand nach kurzem Gang vor einer Tür, auf der in schlichten Goldbuchstaben die Worte standen:

BAGGO ARNVILL – AGENTUR FÜR KOSMISCHE ERMITTLUNGEN.

Baggo verzog das Gesicht.