Ulrich Offenberg und Jutta Förtsch
WÄHL’ MAL
WIEDER!
© Verlag KOMPLETT-MEDIA GmbH
2008, München/Grünwald
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6. Jh. vor Chr.: | Entwicklung der attischen Demokratie in Athen |
594 v. Chr.: | Solon |
508 v. Chr.: | Kleisthenes |
475 – 27.v. Chr.: | Römische Republik |
1215 n. Chr.: | Magna Charta (England) |
13. + 14. Jh.: | Einrichtung erster Parlamente |
16. Jh.: | Absolutismus |
17. + 18. Jh.: | Aufklärung |
1776: | „Bill of Rights“, Amerikanische Unabhängigkeitserklärung |
1789: | Französische Revolution |
1815: | Deutscher Bund |
1818: | Erste Verfassungen in Deutschland |
1848: | Ausrufung der Republik in Frankreich, Kommunistisches Manifest Deutsche Nationalversammlung |
1863: | Gründung der SPD |
1871: | Verfassung des Deutschen Reiches |
1903: | Gründung der „Women’s Social and Political Union“ |
1905: | Forderung der Suffragetten nach Wahlrecht für Frauen |
1914 – 1918: | Erster Weltkrieg |
1919: | Nationalversammlung in Weimar Weimarer Verfassung Wahlrecht für Frauen in Deutschland |
1933: | Machtübernahme durch Hitler und die Nationalsozialisten Ermächtigungsgesetz Verbot der demokratischen Parteien in Deutschland |
1935: | Nürnberger Gesetze, Beginn der Judenverfolgung |
1939 – 1945: | Zweiter Weltkrieg |
1945: | Aufteilung Deutschlands in vier Zonen Gründung der CDU und CSU |
1947: | Gründung der Tri-Zone |
1948: | Währungsreform Verfassungskonvent in Herrenchiemsee Gründung der FDP |
1948/49: | Blockade von Berlin, Luftbrücke |
1949: | Verkündung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Erste Bundestagswahl, Konrad Adenauer (CDU) wird erster Bundeskanzler Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, Gründung der SED |
1953: | Einführung des Verhältniswahlsystems in der Bundesrepublik Aufstand des 17. Juni |
1956: | Verbot der KPD Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der BRD |
1957: | Gründung des Gemeinsamen Marktes in Europa (EWG/EU) |
1961: | Bau der Berliner Mauer |
1963: | Ludwig Erhard (CSU) wird Bundeskanzler |
1966: | Kurt Georg Kiesinger (CDU) wird Bundeskanzler |
1969: | Willy Brandt (SPD) wird Bundeskanzler Abschluss der Ostverträge Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre |
1974: | Helmut Schmidt (SPD) wird Bundeskanzler |
1979: | Parteispendenskandal |
1980: | Gründung der Grünen |
1982: | Helmut Kohl (CDU) wird Bundeskanzler |
1989: | Wiedervereinigung Gründung der PDS |
1998: | Gerhard Schröder (SPD) wird Bundeskanzler, rot-grüne Koalition |
2005: | Angela Merkel (CDU) wird Bundeskanzlerin |
2007: | Gründung „Die Linke“ |
Die frische Luft der Demokratie
Das antike Griechenland
Das antike Rom
Der Absolutismus
Demokratie in England
Die Französische Revolution
Reformen in Deutschland
Parlament ohne Macht
Der Kampf des Johann Jacoby
Politischer Lesezirkel
Flucht in die Schweiz
Frauen kämpfen um ihr Wahlrecht
Die Weimarer Verfassung
Hitler übernimmt die Macht
Selbstentmachtung des Reichstags
Die Dolchstoßlegende
Das Verhängnis Hindenburg
Latenter Antisemitismus
Die Nürnberger Gesetze
Nachkriegsordnung
Das deutsche Wirtschaftswunder
Die Berliner Luftbrücke
Die Bundesrepublik Deutschland
Die Deutsche Demokratische Republik
Wiedervereinigung als Finte
Das bundesdeutsche Wahlsystem
Die Parteien der Bundesrepublik
Die Gewaltenteilung
Das Verfassungsorgan
Der Einfluss des Bundesrats
Die Regierungsorgane Deutschlands
Der Kampf gegen die Kommunisten
Der Aufstand des 17. Juni 1953
Das geeinte Europa
Die Ära Adenauer
Willy Brandts neue Ostpolitik
Der Parteispenden-Skandal
Die Ära Kohl
Der Triumph der Demokratie
Manchmal ist es ein wenig ernüchternd, befragt man seine Mitbürger über die Grundlagen unseres demokratischen Staatswesens. Wir haben mal die Probe aufs Exempel gemacht. Auf die Frage, was ist Demokratie, haben wir beispielsweise Antworten wie diese bekommen: „Demokratie bedeutet: Viele wollen etwas, wissen nichts voneinander und wenn man dann alles ausgezählt hat, dann weiß man hinterher, was die meisten wollten.“ Oder noch einen Deut verschwommener: „Demokratie, das ist, wenn alle wählen und dann die Regierung bestimmt, was gemacht wird.“
Immerhin scheint ein Konsens zu bestehen, dass Demokratie irgendwie mit Wahlen zusammenhängt. Also wagten wir dieAnschlussfrage: Wann haben Sie das letzte Mal gewählt? Eine Antwort von vielen ähnlichen: „Das letzte Mal wählen... wann war die letzte Wahl... ich hab’s schon wieder vergessen. Aber ich geh’jedes Mal hin.“ Und warum gehen Sie zur Wahl? Glauben Sie, dass Sie irgendetwas verändern können? „Ich kann zunächst mal – was ja auch Teil der Demokratie ist – meinen Unmut über die derzeitige Situation äußern, in dem ich eben was anderes wähle. Also das ist eine Möglichkeit, um sich zu äußern, das andere ist natürlich, selber aktiv teilzunehmen. Zum Beispiel als Gemeinderat.“
Wenn nur alle Antworten, die wir zum Themenkomplex Demokratie und Wahlen geerntet haben, so qualifiziert gewesen wären, wie die letztere. – Aber machen wir doch mal bei Ihnen die Probe aufs Exempel: Wie ist Ihre Haltung zur Demokratie? Eher wurstig und indifferent? Haben Sie bei der letzten Wahl Ihre Stimme abgegeben? Oder haben Sie resigniert, der Demokratie innerlich gekündigt? Vielleicht denken Sie wie so viele der immer zahlreicher werdenden Nichtwähler: „Hat doch sowie keinen Zweck, die Politiker machen ja doch, was sie wollen. Was soll denn meine Stimme noch daran ändern?“
Wer so denkt und freiwillig – oder aus Bequemlichkeit – sein Wahlrecht nicht ausübt, der verzichtet auf ein menschliches Grundrecht, das leider in keiner Weise selbstverständlich ist. Für das Recht, seine Stimme abgeben zu können, an das sich Staatslenker halten müssen, hat die Menschheit seit Tausenden von Jahren gekämpft und oftmals gelitten. Für dieses recht haben Generationen ihr Leben und ihre Existenz aufs Spiel gesetzt.
Ein mündiger Bürger hat nicht nur das Recht, er hat auch die Pflicht, sein Schicksal und das System, in dem er lebt, selbst mitzubestimmen. Ein mündiger Bürger? Das ist leicht so hingesagt, aber was soll man letztlich darunter verstehen? Ein mündiger Bürger ist jeder, der kompetent mitbestimmen will, wenn es um die (= seine) Zukunft geht. Der nicht kritiklos die Befehle der Obrigkeit entgegen nimmt, sondern sich aktiv in das politische Geschehen einschaltet und die sozialen Umstände in der Gesellschaft seines Heimatlandes mit gestaltet.
Als nach dem 2. Weltkrieg die Westdeutschen erstmals wieder zur Wahlurne gehen durften, war die Wahlbeteiligung groß. Die frische Luft der Demokratie und Freiheit schmekkte damals wirklich süß. Die Wahlbeteiligung lag in den ersten Jahrzehnten der jungen Bundesrepublik stets um die 90 Prozent, in den Jahren 1972 und 1976, als es darum ging, ob erstmals eine sozialliberale Regierung in der Bundesrepublik die Regierungsverantwortung tragen sollte, sogar noch darüber.
Doch allmählich rückten die Jahre der braunen Diktatur, die politische Entmündigung und Entrechtung von damals in den Hintergrund. Materielle Wünsche wurden wichtiger. Bei den Bürgern setzte eine Wahlermüdung ein, dazu kam eine immer tiefer greifende Parteienverdrossenheit. Die Wahlbeteiligung sinkt seit Jahrzehnten rapide. 2002 lag sie sogar unter 80 Prozent, bei Landtagswahlen noch weiter darunter. In einigen Bundesländern wurden die Nichtwähler mittlerweile sogar zur stärksten Partei.
Wahlforscher haben den typischen Nichtwähler längst analysiert und ziemlich genau charakterisiert: Meist ist er jung und sein sozialer Status ist eher niedrig. Er hat keine Bindung zur Kirche oder zu einem Verein. Er interessiert sich nicht für Politik, lehnt sie sogar ab. Seine Stimmverweigerung ist auch ein Ausdruck des Protestes gegen die politischen Zustände hierzulande. Oder er ist über 70, einsam und gebrechlich. – Die Entscheidung, nicht zu wählen, mag irgendwo verständlich sein und ist individuell immer gut argumentierbar. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass wer nicht wählt das Erbe der Altvorderen verschleudert, die sich Schritt für Schritt, hartnäckig dieses Recht einst erkämpft haben.
Sie sind eine Frau? Wussten Sie, dass Sie vor 1917 noch gar nicht hätten wählen dürfen? Sie hatten das Recht, Ihre Kinder aufzuziehen und dem jeweiligen Staatslenker tüchtige Soldaten zu schenken. Doch ihr politisches Schicksal bestimmen durften Sie nicht.
Sind Sie Arbeiter? Dann hätten Sie vor 150 Jahren für einen Hungerlohn schuften müssen. Von einem freien Wochenende hätten Sie damals nur träumen und darauf hoffen können, nicht krank zu werden. Keiner hätte sich dann um Sie gekümmert, schon gar nicht der Staat. Wählen aber hätten Sie nicht dürfen. Sie hätten Ihrem Landesherren zujubeln und Steuern zahlen müssen, aber Sie wären, wenn Sie das Wahlrecht gefordert hätten, bei Wasser und Brot eingesperrt worden. Verschenken Sie also nicht, was Ihre Vorfahren mit Blut, Schweiß und Tränen erkämpft haben!
Die Demokratie ist eine Idee der Griechen, vor allem der Athener. Dort übte das Volk, genauer gesagt übten alle freien Bürger die volle Gesetzgebungs-, Regierungs-, Kontroll- und Gerichtsgewalt aus. Damit war die Demokratie in Athen eine direkte, unmittelbare Herrschaft des Volkes, die auf der umfassenden Beteiligung aller Bürger beruhte und keine Unterschiede zwischen arm und reich kannte. Die Bürger bildeten in der Ekklesia die Legislative – hier wurden die Gesetze diskutiert und erlassen – und in den Dikasteria die Judikative – hier wurden die Gesetze angewendet, sprich Recht gesprochen. Dort, wo sie die Ämter besetzten, bildeten die Bürger zugleich auch die Exekutive, in der die Staatsgeschäfte erledigt wurden. Der athenische Demos (Volksversammlung) besaß also eine beispiellose Machtkonzentration. Gesetzgebende, richtende und ausführende Gewalt gingen vom Volk aus und verblieben auch bei ihm. Regieren und Regiertwerden waren eins – oder gingen, wie Aristoteles formulierte, „wechselweise“ vonstatten.
Aber schon im antiken Griechenland bedurfte es einiger weiser und durchsetzungsfähiger Männer, um die Rechte des Volkes zu erkämpfen. Die Reformen der Athener, Solon im Jahre 594 vor Christus und Kleisthenes 508 vor Christus, brachen die Macht des Adels und schufen die Grundlagen für die politische Beteiligung breiterer Volksschichten. Die erfolgreiche Abwehr der beiden persischen Einfälle in Griechenland (5. Jahrhundert v. Chr.) stärkte die Demokratie, deren goldenes Zeitalter vor allem mit dem Namen Perikles verbunden ist. Der glänzende Stratege und Redner bestimmte für mehr als 30 Jahre die Politik Athens und führte die Stadt zu einer bis dahin noch nie gekannten Blüte. Erst die Soldatenmacht Makedoniens beendete diese Epoche.
Die Idee der Republik geht auf die römische Antike und die Römische Republik zurück. Rom selbst war keine Demokratie, sondern eine Oligarchie, eine Herrschaft der herausragenden und angesehenen – oft auch der reichen Männer. Die so genannte Nobilität, eine kleine Gruppe von Patriziern, dem Geburtsadel mit Grundbesitz und den wohlhabend gewordenen Bauern und Handwerkern, konnte mittels eines ausgeklügelten Klientel- und Patronagesystems die politischen Entscheidungen weitgehend kontrollieren.